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Editorial
Rabatte satt!
Oder: Leben und sterben lassen
Welcher Händler kennt das nicht?
Ein Kunde kommt in den Shop, lässt sich eine Stunde Jackets,
Regler und Flossen vorführen, erkundigt sich nach den Preisen,
auch nach einem kostenlosen WLAN-Account, und ist dann 5 Mi-
nuten mit seinem Phone mit dem „i“ beschäftigt. Heraus kommt
dann der stereotype Satz:
„Aber das Jacket gibt es beim Billigheimer 100 € weniger.“
Womit er mit dieser Aussage in den meisten Fällen richtig liegt.
Drama, zweiter Akt:
Jetzt geht das Feilschen los. Und alsbald fühlt sich der Verkäufer
wie ein demütiger kleiner Händler in einem arabischen Basar.
Dass das Ergebnis für ihn zumeist ernüchternd ist, steht bereits
zu Beginn der „anregenden“ Konversation fest.
Seit langem verspürt er auch nicht mehr die geringste Lust, gerade diesen Kunden die Situation
kleiner Händler zu verdeutlichen. Anfangs tat er das. Ohne Erfolg, dafür mit steigender Frustration.
Weil es nicht fruchtete. Kommentare verkneift er sich heute, entschuldigt sich brav für seinen nicht
konkurrenzfähigen Preis und verabschiedet sich freundlich.
Hin und wieder betreibe auch ich im Internet Preisrecherchen. Was mir hier unter die Augen kommt
treibt mir dann doch die Wut ins Gesicht. Hier entdecke ich bei diversen Onlinehändlern z. B. Flos-
sen und auch Jackets, welche nachweislich zum EK über den Tisch gehen. Ich frage mich, wie ist
das möglich?
Zum einen dadurch, dass die Hersteller Händlerpreislisten für ihre sogenannten „Premiumhändler“
haben. Diese liegen im Schnitt zusätzlich nochmals 10 bis 15 % unter dem günstigsten Einzelhan-
dels-EK. Auch lockt der eine oder andere „Hersteller“ mit Naturalrabatten von zweistelligen Prozent-
beträgen. Das heißt: der Händler ordert 1000 Neoprenanzüge und bekomme noch 100 oder deutlich
mehr gratis dazu. Der kleine Einzelhandel bleibt bei diesen Vergünstigungen außen vor.
Das untere bis mittlere Waren-Preissegment ist für viele Einzelhändler auch und gerade durch die
Gestaltung der Händlermargen unattraktiv geworden.
Und die Hersteller werden mit ihrer Preispolitik die fortschreitende Marktbereinigung hin zum Inter-
netbusiness kräftig vorantreiben. Masse statt Klasse ist auch hier der Wahlspruch Nummer eins.
Letztendlich haben es die Kunden in der Hand, wie viel Service, Beratung und Kompetenz sie sich
vor Ort noch leisten wollen. Am verfügbaren Geld kann es nicht liegen, wie jedes Jahr zur Einfüh-
rung des neusten technischen i-Tüpfelchen eindrucksvoll die Erstürmung der Shops der allseits be-
kannten Smartphone-Marke zeigt.
In diesem Sinne Gut Luft!
Euer
Wolfgang Schüle
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